Wie der Wind sich hebt
Kaze tachinu (R: Hayao Miyazaki, JP 2013, 127 min)
Which would you choose: a world with pyramids or a world without? (Caproni)
Jirô Horikoshi liebt Flugzeuge, liebt den tosenden Wind um seinen Ohren, die unbeschreibliche Eleganz der Maschinen, wenn sie den Himmel durchschneiden, die Ästhetik ihrer Formen, die Faszination dieses uralten Menschheitstraumes. Doch seine Kurzsichtigkeit hindert ihn, sich selbst in die Lüfte zu schwingen und so träumt er, selbst mechanische Vögel zu kreiren und von der Erde abheben zu lassen.
Wie der Wind sich hebt ist eigentlich eine tieftraurige und dramatische Geschichte, die, allein auf ihre Handlung beschränkt, sicher nicht als Kinderfilm oder für eine Altersfreigabe für Sechsjährige taugt. Zerrissen zwischen dem Willen, seine Kunstwerke, seine Kinder zu erschaffen und perfektionieren, dem Bewusstsein, welche Zerstörung diese anrichten können und das kaum eines intakt zurückkehren wird und der Liebe zu seiner todkranken Frau bietet der Charakter Jirô unglaubliche menschliche Abgründe, unglaubliches Potential diese darzustellen an. Aber Miyazaki entschied sich für einen anderen Weg, für eine ruhige, fast märchenartige Inszenierung.
Die obigen Konflikte werden oft nur angedeutet, nur in zwei, drei Momenten diskutiert, meist aber einfach übergangen und nicht thematisiert, dementsprechend wird nur die letzte Viertelstunde wirklich intensiv. Gewissermaßen ist das konsequent und relativ typisch für eine Ghibli-Produktion die eigentliche Bedrohung und Thematik im Untergrund brodeln zu lassen, während die Oberfläche kindgerecht verpackt ist. Andererseits vermisst der Zuschauer oft die Spannung, das Ausschöpfen der Möglichkeiten. Die sehr seichte Dramaturgie verdeutlicht einerseits das traumhafte Element und den verträumten Charakter Jirôs, andererseits lässt sie ein Kernelement, irgendein Ziel auf das der Film zusteuert, eine Botschaft, einen Sinn und Zweck, vermissen.
So ist es wenig überraschend, dass die Ästhetik und Inszenierung oftmals an Filme wie Kurosawas Dreams (1990) oder an Jean Vigos L’Atalante (1934) erinnert, vermutlich sich gezielt an diese anlehnt. Doch auch mit außerfilmischen Referenzen fordert Miyazaki sein Publikum mit vielen literarischen, musikalischen und auch historischen Anspielungen, etwa auf Thomas Manns Zauberberg oder das Erdbeben von 1923.
Der Krieg in Pazifik und China ist im Film zwar allgegenwärtig, trotzdem ist es kein Kriegsfilm, zeigt keine Luftschlachten oder Kriegsschauplätze. Wie eine dunkle Bedrohung schwebt er am Rande, doch weniger ist er die Bedrohung für den Mensch, als für die Flugzeuge, für Jirôs Träume. Miyosakis jüngstes Werk heroisiert nicht, er verteufelt nicht. Jirô ist nur ein gewöhnlicher Mann mit Visionen, mit einer tiefen Leidenschaft, der für diese einen enorm hohen Preis zahlen muss: das Wissen um ihr Gefahrenpotential, das Wissen um ihre ununterbrochene Zerstörung.
So nimmt der Film die Diskussion um die Thematisierung des vermeintlichen Kriegsverbrechers, des Erfinders der Jagdmaschinen die in Pearl Harbor ein grausames und beispielloses Gemetzel anrichten sollen, vorweg. Wollen wir in einer Welt ohne Pyramiden leben? Es wird keine Antwort gegeben, es wird der Preiszettel präsentiert. Die Pyramiden, gigantische Monumente errichtet auf Kosten unzähliger Sklaven, die moderne Flugfahrt und ihr Missbrauch durch den Krieg. Jirô Horikoshi durfte seinen Traum verwirklichen und trug maßgeblich zur Entwicklung neuer, moderner Flugzeugmodelle bei, doch wie hoch war die Schuld, die er begleichen musste?
Getragen von der wunderbaren und eingängigen Musik Joe Hisaishis und seinen sympathischen Charakteren entfaltet der Film seine vollständige Pracht erst in der Rezension nach dem Kinobesuch. Wie der Wind sich hebt ist ein intimes, ein privates Werk. Man glaubt im jungen Jirô Horikoshi häufig Miyazaki zu erkennen, getrieben von einer Faszination für Flugzeuge, von einer Obsession für diese, das ruhige und doch starke Porträt eines kindgebliebenen Mannes, einer umstrittenen Persönlichkeit, welches reift, immer stärker in den Bann zieht und noch lange nach Kino-Besuch beschäftigt.